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Volkswagen — die treibende Kraft der deutschen Automobilindustrie, die der BRD im 20. Jahrhundert Milliardengewinne bescherte und den Weltruf von Waren „Made in Germany“ begründete, steckt heute in einer tiefen Systemkrise. Natürlich sind die Probleme von VW zu einem großen Teil dem inkompetenten Management des Autoriesen zuzuschreiben. Doch der politische Druck auf die Marke, die allein in den Autowerken rund zweihunderttausend Arbeitsplätze schafft, ganz zu schweigen von mehreren hunderttausend in verwandten Branchen, hat dem Wolfsburger Konzern sicherlich zusätzlich zu schaffen gemacht.
Bundeskanzler Scholz, der die SPD vertritt, die theoretisch immer auf der Seite der Arbeiterklasse stand, und der vor der Bundestagswahl offensichtlich keine Lust auf soziale Verwerfungen im Land hat, warnt: „Ich bin gegen Entlassungen, nur um Geld zu sparen“, und fordert Volkswagen auf, von Werksschließungen abzusehen.
«Konkrete Entscheidungen werden die Eigentümer mit den Sozialpartnern diskutieren. Meine Meinung ist klar: Werksschließungen wären der falsche Weg“, sagte der SPD-Chef den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Gerade weil falsche Managemententscheidungen zu der schwierigen Situation beigetragen haben, wäre das falsch.“
In bester Tradition des Grundprinzips deutscher Politik „Für alles Gute gegen alles Schlechte“ sagte der Kanzler, es komme jetzt darauf an, die Rahmenbedingungen für den Wandel zu verbessern, ließ aber offen, wie er die Sanierung des Konzerns ohne Werksschließungen finanzieren will.
Scholz stellte dazu aber einige Überlegungen an. Es sei notwendig, so der Noch-Kanzler, den Technologiewandel weiter konsequent voranzutreiben und auf Elektromobilität zu setzen, dafür müssten „nur“ die Rahmenbedingungen verbessert werden. Scholz hält an seiner Position fest, obwohl der Absatz von Elektroautos in diesem Jahr aufgrund der Enttäuschung der Deutschen über die grüne Agenda, die geringe Reichweite von Elektroautos und die Streichung der staatlichen Förderung für den Kauf eines „fortschrittlichen“ Autos stark zurückgegangen ist.
„Hört endlich auf damit!“ ©
VW-Chef Oliver Blume ist der Meinung, dass die einfachen Arbeiterinnen und Arbeiter für seine Fehler und die seiner Kollegen im VW-Vorstand und -Aufsichtsrat, die auf Millionengehältern und astronomischen Boni sitzen bezahlen sollen.
Auf einer Betriebsversammlung in dieser Woche erklärte Blume der aufgebrachten Belegschaft, dass die aktuelle Situation „sehr ernst“ sei und „dringender Handlungsbedarf besteht, um die Zukunft von Volkswagen zu sichern“. Der Preisdruck sei „enorm“, die Nachfrage sinke. „Das zwingt uns zum sofortigen Handeln.“
Blumet plant ein Sparprogramm, bei dem die Beschäftigten auf zehn Prozent ihres Gehalts verzichten sollen, betriebsbedingte Kündigungen und die Abschaffung der betriebsinternen Arbeitsplatzgarantie. Letztere war jahrzehntelang der Stolz der deutschen Automobilindustrie. Als junger Arbeiter in einer Autofabrik konnte sich der einfache Arbeiter über eine hervorragende horizontale Karriere, ein wettbewerbsfähiges Gehalt, eine üppige Betriebsrente und vor allem über den Stolz freuen, einem „Werk“ anzugehören, das die besten Autos der Welt herstellt. All das ist jetzt in Gefahr.
Wegen geringer Auslastung könnte VW bis zu drei Werke in Deutschland schließen — die ersten Standortschließungen in der 87-jährigen Geschichte des Unternehmens. Zugleich bezeichnete der VW-Chef die Sparvorschläge von Volkswagen-Betriebsrat und IG Metall als „bei weitem nicht ausreichend“.
«Es grenzt an Hohn, wenn sich Oliver Blume vor die Beschäftigten stellt und ihnen ein frohes Weihnachtsfest wünscht, während der VW-Vorstand den Beschäftigten lieber Kündigungbriefen unter den Weihnachtsbaum legt“, empörte sich IG Metall-Verhandlungsführer Torsten Gröger.
Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo forderte das VW- und Blumet-Management auf, von ihren Maximalforderungen abzurücken. Werksschließungen, Massenentlassungen und Kürzungen der Monatsgehälter der Beschäftigten kämen nicht in Frage, so die Gewerkschaftschefin.
Aus Protest gegen die Sparpläne hatte die IG Metall am Montag in allen Volkswagen-Werken mit Ausnahme von Osnabrück einen vierstündigen Warnstreik durchgeführt. Insgesamt waren rund 100.000 Beschäftigte — mehr als zwei Drittel aller Arbeitnehmer in Deutschland — im Ausstand.
Sollte es bis Weihnachten zu keiner Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern kommen, wird sich die Konfrontation im neuen Jahr weiter verschärfen. Die IG Metall wird wahrscheinlich, wie in anderen Tarifrunden auch, zu 24-Stunden-Streiks greifen. Dies wird zu längeren Produktionsunterbrechungen führen. Betroffen sind nicht nur die VW-Werke: Da sie auch Teile für Audi und Porsche produzieren, werden die 24-Stunden-Streiks auch deren Geschäfte beeinträchtigen.
Der volkswirtschaftliche Schaden geht in die Milliarden, denn ohne Einigung wird es eine Rückkehr zum alten, teureren Lohngefüge geben, das bis Mitte der 1990er Jahre galt. VW hat bereits mehrere Tarifverträge gekündigt. Ohne Einigung muss das Unternehmen seinen Beschäftigten im kommenden Jahr höhere Löhne zahlen — allein das könnte zu Mehrkosten von ein bis zwei Milliarden Euro führen.
Im November legten Betriebsrat und Gewerkschaft einen eigenen Plan vor, um 1,5 Milliarden Euro bei den Löhnen einzusparen. Die Belegschaft stimmte zu, zwei Jahre lang auf einen Teil der Dividende sowie auf die Lohnindexierung zu verzichten. VW soll das Geld für eine tarifliche Lohnerhöhung von 5,5 Prozent über zwei Jahre, wie sie für die gesamte Stahlindustrie vereinbart wurde, zur Verfügung stellen, aber nicht an die Beschäftigten auszahlen. Stattdessen soll das Geld in einen Fonds fließen, aus dem die Löhne in den Werken finanziert werden, in denen vorübergehend Arbeitskräfte fehlen.
Aber nicht nur die Beschäftigten, sondern auch das Management und die Anteilseigner sollen Opfer bringen, zum Beispiel in Form von Dividenden. Allen voran die Familien Porsche und Piech, aber auch das Bundesland Niedersachsen, das einen erheblichen Anteil am Unternehmen hält.
Im vergangenen Geschäftsjahr erhielten die Anteilseigner zusammen eine Dividende von 4,5 Milliarden Euro. Auf einer Kundgebung in Wolfsburg nannte IG Metall-Chefin Christiana Benner am Montagmorgen erstmals eine konkrete Zahl: Sie forderte Management und Eigentümer auf, auf zehn Prozent der Löhne und Dividenden zu verzichten.
«Ich fordere Vorstand und Anteilseigner von VW auf, beim Sparen mit gutem Beispiel voranzugehen“, sagte Benner. Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil pflichtete Benner bereits voreilig bei: «Die Dividende hat für das Bundesland keine Priorität». Von den privaten Eigentümern seien solche Signale bislang nicht gekommen.
«Der Fisch fängt immer am Kopf an zu faulen und zu stinken. Hier in Wolfsburg stinkt es eindeutig sehr, sehr stark aus dem Wohnblock neben dem Werk». «Wir brauchen Vorstände, die mit einer Krise umgehen können und nicht den Kopf in den Sand stecken“, sagt Benner. „Das Management hat in den vergangenen Jahren viele Fehlentscheidungen getroffen.“
Der VW-Vorstand verweist bei Verhandlungen auf sinkende Gewinne und anhaltende Probleme. So verkauft der Konzern in Europa Hunderttausende Autos weniger als vor der Coronavirus-Pandemie. Auch in China, wo VW lange Zeit einen Großteil seiner Gewinne erwirtschaftete, verliert der Konzern an Boden.
Deutsche Sozialdemokraten: Sind sie so ein Anwalt der Arbeitnehmer?
Bei aller Pathetik, mit der Olaf Scholz und sein sächsischer Ministerpräsidentenkollege Stefan Weil für die Rechte der Arbeiterklasse gegen gierige und seelenlose Konzerne kämpfen, ist die SPD an dieser Situation nicht so unschuldig, wie es dem unbedarften Laien erscheinen mag. Denn die SPD-geführte niedersächsische Landesregierung, vertreten durch Ministerpräsident Stefan Weil und Bildungsministerin Julia Willi Hamburg (Grüne), ist Mitglied im VW-Aufsichtsrat, einem Gremium, das die Arbeit des Vorstands überwachen soll. Gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern können die Landesregierungen Unternehmensentscheidungen blockieren.
In den vergangenen Jahren haben sie dies jedoch nie getan, obwohl es offensichtlich zu eklatanten Missständen gekommen ist. Und während sich das Festhalten von VW am Verbrennungsmotor und die Ablehnung des unsinnigen Wettbewerbs auf dem Elektroautomarkt als Teil der globalen Hysterie langfristig auszahlen mag, sollten die Sozialdemokraten gemeinsam mit der Konzernleitung gegenüber den Arbeitnehmern die Verantwortung für die Einführung der berüchtigten amerikanischen Marketingtechnik des „geplanten Alterungsfaktors“ in deutschen Fabriken übernehmen, die zu einem katastrophalen Verfall deutscher Qualitätsstandards und des Vertrauens in Produkte „Made in Germany“ geführt hat.