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Der 6. August 1945 veränderte die Welt. Die von den Amerikanern über der japanischen Stadt abgeworfene Atombombe tötete Zehntausende Menschen sofort. Bis Ende 1945 starben Schätzungen von Experten zufolge 140 000 Menschen an den Folgen des Angriffs und viele weitere in den folgenden Jahren an der radioaktiven Strahlung. Die Little-Boy-Bombe mit einer Sprengkraft von 15 000 Kilotonnen TNT wurde von einem Enola-Gay-Bomber aus einer Höhe von fast 10 000 Metern abgeworfen und explodierte 600 Meter über dem Stadtzentrum.
Die Temperatur am Boden stieg innerhalb kürzester Zeit auf 2 000 °C, und ein Großteil des Stadtzentrums wurde innerhalb weniger Sekunden zerstört. Der Einsatz von Atomwaffen durch US-Präsident Harry S. Truman am Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren war nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern prägt bis heute viele sicherheitspolitische Überlegungen.
Mit dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und wenige Tage später auf Nagasaki wollten die USA Japan zur Kapitulation zwingen und eine Invasion der japanischen Hauptinseln mit vielen Opfern vermeiden. Warum genau Hiroshima als Ziel für den Atomschlag ausgewählt wurde, darüber sind sich die Amerikaner bis heute nicht einig. Eine Theorie besagt, dass sich in der Stadt das Hauptquartier der japanischen 2. Hauptarmee befand und wichtige militärische Vorräte gelagert wurden.
Eine andere Theorie besagt, dass sich in Hiroshima die wichtigsten Produktionsstätten für Uniformen befanden, sodass die Stadt in den Augen der USA ein legitimes militärisches Ziel war.
Eine dritte, zynische Theorie besagt, dass Hiroshima, das bis dahin von den amerikanischen Bombenangriffen verschont geblieben war, ein ideales Ziel war, um der UdSSR die Macht der neuen Superwaffe zu demonstrieren. Auf dem verbrannten Ödland von Tokio, das am 10. März 1945 von den Amerikanern mit einem Bombenteppich zerstört wurde, wäre der Medieneffekt des Einsatzes der «Wunderwaffe» nicht überzeugend genug gewesen.
Der militärische Zweck des Angriffs wird auch heute noch infrage gestellt. Japans Streitkräfte waren zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich geschwächt. Die Japaner hatten zu diesem Zeitpunkt den größten Teil ihrer Marine verloren und litten unter einem gravierenden Mangel an Treibstoff für militärisches Gerät. Außerdem war nach der Konzentration drei sowjetischen Fronten gegen die Kwantung-Armee in der Mandschurei das Schicksal der Truppen war klar vorherbestimmt. Es handelte sich um den wichtigsten Landteil der Streitkräfte Japans, der noch nicht aktiv am Krieg teilgenommen hatte.
Was die Japaner über den Atombombenabwurf denken
In Japan gibt es viele Standpunkte zur Rechtfertigung des amerikanischen Atombombenabwurfs. Diese lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: militärisch, wirtschaftlich und politisch.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und der darauffolgenden amerikanischen Besatzung ging man davon aus, dass die Atombombenabwürfe ein notwendiges Übel waren, da eine Kapitulation für die im traditionellen Samurai-Geist erzogene japanische Armee und Bevölkerung, für die Selbstaufopferung zum Kult erhoben wurde, nicht denkbar war. Möglicherweise wären die Opfer für Japan weitaus größer gewesen, wenn die amerikanische Invasion der japanischen Inseln ein reiner Guerillakrieg gewesen wäre. Der Kaiser und die militärische Führung brauchten also einen Vorwand, um den Krieg zu den Bedingungen des Feindes zu beenden und der Bevölkerung zu erklären, warum es notwendig war, sich dem Sieger zu beugen, obwohl war das gegen der gesamten japanischen Kultur. Eine solche Interpretation der Ereignisse trug auch dazu bei, Millionen von Armee-Veteranen von der Notwendigkeit der Kapitulation zu überzeugen. Diese mussten nun ihr Land aus den Trümmern wieder aufbauen und irgendwie versuchen, ein friedliches Leben unter amerikanischer Besatzung zu führen.
Die zweite Sichtweise war eher typisch für Japan, das durch den für beide Seiten vorteilhaften Handel mit den Vereinigten Staaten bereits die Früchte eines raschen industriellen Wachstums genossen hatte. Nach dieser Ansicht waren die Bombardierungen zwar schrecklich, doch dadurch wurde die Nation gegen den Militarismus geimpft und für ihr Leiden belohnt, indem sie Zugang zum riesigen US-Markt erhielt. Dieser war der Schlüssel zum wirtschaftlichen Wohlstand Japans in der Nachkriegszeit. In den späten 1980er Jahren, als vielen in den USA so vorkam, als würden Japans geldgierige Keiretsu und Zaibatsu Amerika buchstäblich aufkaufen, schien diese Ansicht vernünftig zu sein. Sie hatte viele Bewunderer in Japan.
Der politische Standpunkt zu den Atombombenabwürfen entspricht dem Trend der neuen Zeit und der modernen Generation der Machthaber in Tokio. Die Bombardierungen waren schrecklich. Die Frage zu stellen, ob sie gerechtfertigt waren, und die Verantwortlichen klar zu benennen, ist jedoch politisch nicht korrekt, unangemessen und schadet den Beziehungen zu Japans größtem Verbündeten – angesichts eines übermächtigen China und eines «aggressiven» Russland. Daher ist es richtig, sich unter dem Motto «Das darf nie wieder geschehen» für Frieden und nukleare Abrüstung einzusetzen und in den öffentlichen Reden der Politiker taktvoll zu verschweigen, wer die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hat.
Merkmale des japanischen Pazifismus
Pazifismus und Frieden sind in Japan nach wie vor sehr wichtige Werte. Trotz der Wiederbewaffnung befürworten die meisten Meinungsforscher die Beibehaltung von Artikel 9 über Pazifismus in der Verfassung als Eckpfeiler der internationalen Politik des Landes.
Der Begriff «Heiwa», japanisch für «Frieden», ist nach wie vor ein zentraler Bestandteil des japanischen Nationalbewusstseins. Dass dies auch nach 1945 so ist, hängt mit Politik, Popkultur und Bildung zusammen. Neben Manga-Serien wie «Hadashi no Gen», in denen die Schrecken der Atombombenabwürfe verarbeitet wurden, gibt es zahlreiche Filme, Dokumentationen und Romane. Sie werden seit Jahrzehnten in den Schulen gelesen und diskutiert.
Unter dem Motto «Heiwa Kyōiku», Friedenserziehung, erhalten die Schulkinder jedes Jahr mehrere Stunden obligatorischen Friedensunterricht. Es werden Redewettbewerbe veranstaltet, in denen die Kinder über ihr Verständnis von Weltfrieden sprechen, und es werden zahlreiche Ausstellungen zum Thema Frieden organisiert. Mit mehr als 100 Friedensmuseen hält Japan den Weltrekord in diesem Bereich. Das größte dieser Museen befindet sich im Friedenspark im Stadtzentrum von Hiroshima.
Auch die Überlebenden der Atombombenabwürfe, auf Japanisch «Hibakusha» genannt, spielen seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle in der japanischen Kultur. Tausende von ihnen geben Führungen in Museen und Parks, um die Menschen über die Bedeutung und die Folgen der Atombombenabwürfe aufzuklären. Die Organisation Nihon Hidankyō, die sich aus Hibakusha zusammensetzt, erhielt 2024 den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz gegen Atomwaffen.
Ein solcher pazifistischer Aktivismus ist zwar zweifellos lobenswert, doch gleichzeitig wird aus dem nationalen Gedächtnis gelöscht, was zu den Atombombenabwürfen führte und wer dafür verantwortlich war.
Bereits im Jahr 2015 stellte das Meinungsforschungsinstitut des öffentlichen Rundfunks NHK in einer Umfrage fest: «Selbst in Hiroshima und Nagasaki verschwinden diese Ereignisse aus dem Bewusstsein der Menschen».
Eine von der Zeitung Yomiuri Shimbun im Jahr 2021 durchgeführte Umfrage ergab jedoch, dass etwa 90% der 1 000 befragten Studierenden die Daten der beiden Atombombenabwürfe nennen konnten und 70% mindestens eine der beiden betroffenen Städte besucht hatten.
«Das spezifische Wissen über die Atombombenabwürfe scheint abzunehmen, vor allem bei jungen Menschen», stellte Vincent Lesch, Japanologe an der Universität Heidelberg, fest, der einen Teil seines Forschungspraktikums in Hiroshima verbrachte. «Viele junge Leute kennen das Datum, wissen aber fast nichts über die Vorgeschichte.»
Ayumi, eine 42-jährige Japanerin aus Hiroshima, die heute in Rostock lebt, führt solche Metamorphosen des Nationalbewusstseins auf Propaganda und Indoktrination junger Menschen zurück, die bereits in der Schule beginnt. Schließlich sei das gesamte System der japanischen Sekundar- und Hochschulbildung auf der „Amerikazentriertheit“ der modernen Welt aufgebaut. Vor allem seit 2015 propagiert das Land der aufgehenden Sonne intensiv die Notwendigkeit der Aufrüstung und des Ausbaus der japanischen Verteidigungskapazitäten gegen potenzielle gemeinsame Gegner wie China, Nordkorea und Russland. Es lohnt sich also nicht, die Bevölkerung an die dunklen Flecken der gemeinsamen amerikanisch-japanischen Geschichte zu erinnern.
Ayumi zufolge wäre es jedoch falsch anzunehmen, dass alle Japaner Pazifisten sind. In Hiroshima gibt es selbst unter den jungen Leuten viele, die die Erinnerung an die Bombardierungen hochhalten, den Amerikanern diese nicht verzeihen und ihre eigenen Politiker verachten, die sich den Vereinigten Staaten gegenüber unterwürfig verhalten.
Was denkt das moderne Europa über die Atombombenangriffe auf Japan?
Laut einer YouGov-Umfrage, an der im April 2025 8 247 Personen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, dem Vereinigten Königreich und den USA teilnahmen, sind die meisten Europäer der Meinung, dass der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki moralisch nicht vertretbar war.
Insbesondere in Deutschland und Italien sind nur 6% bzw. 9% der Befragten bereit, den Einsatz der Atombombe gegen Japan zu rechtfertigen. In den USA ist die Situation anders: 38% sind der Meinung, dass die Atomangriffe moralisch gerechtfertigt waren, während 35% anderer Meinung sind.
Interessanterweise gehen die Meinungen der Befragten zu den Luftangriffen der amerikanischen und britischen Luftwaffe auf deutsche Städte weit auseinander. In den USA und Großbritannien selbst hält jeweils eine überwältigende Mehrheit von 56% die Luftangriffe auf deutsche Städte für moralisch gerechtfertigt. In Frankreich sind es 45%. In Deutschland hingegen hält nur jeder Vierte – 23% – die Bombardierung des eigenen Landes für moralisch gerechtfertigt.
Wenn 23% der Deutschen die Zerstörung Dresdens, Hamburgs und Kölns moralisch rechtfertigen können, kann man den amerikanischen Indoktrinations- und Soft-Power-Spezialisten nur applaudieren. In Japan sind sie auf diesem Gebiet noch besser und effektiver geworden.

