Foto © imago images / ABACAPRESS
Der ehemalige ukrainische Offizier Sergej Kusnetsow wird verdächtigt, eine Gruppe angeführt zu haben, die die Nord-Stream-Gaspipelines im Jahr 2022 sabotiert haben soll. Er wurde am 20. August in der italienischen Küstenstadt San Clemente aufgrund eines internationalen Haftbefehls der deutschen Staatsanwaltschaft festgenommen. Laut Quellen legte die italienische Polizei dem Verdächtigen am 21. August kurz vor Mitternacht Handschellen an, als er seinen Sohn zu einer örtlichen Universität begleitete.
Anfang 2025 erließen deutsche Staatsanwälte nach fast dreijährigen Ermittlungen zu dem Anschlag, der angeblich von hochrangigen ukrainischen Militärs während einer betrunkenen Party im Mai 2022 geplant wurde, internationale Haftbefehle gegen ihn und mehrere andere Verdächtige.
Den Ermittlungen zufolge soll Sergej Kusnetsow ein Team von zwei Soldaten und vier zivilen Tauchern angeführt haben. Diese wurden heimlich von einer Spezialeinheit des ukrainischen Militärs angeworben, um Sprengstoff zu platzieren, durch den die Unterwasserpipelines beschädigt wurden.
Eine «Untersuchung», die viele Fragen aufwirft
Der größte Sabotageakt in der europäischen Geschichte wirft hinsichtlich der Form der laufenden Ermittlungen, die sowohl von den Behörden der europäischen Länder als auch von den Redaktionen der großen deutschen Medien, die einst für ihre Tradition des investigativen Journalismus berühmt waren, durchgeführt werden, immer noch viele Fragen auf. In erster Linie handelt es sich dabei um den Spiegel und die Süddeutsche Zeitung.
So befasste sich Spiegel nach der Explosion ernsthaft mit der russischen Spur bei der Sabotage, stellte Verschwörungstheorien auf und versuchte, einige Fakten an seine eigene Version anzupassen und andere so weit wie möglich zu ignorieren. Erst im späten Frühjahr 2023 gaben die deutschen Journalisten ihre Version der russischen Beteiligung an der Bombardierung ihrer eigenen Gaspipeline endgültig auf. Diese Position begann selbst beim treuen deutschen Mainstream-Publikum, das sich daran gewöhnt hatte, dem gedruckten Wort zu glauben, Fragen aufzuwerfen.
Eine Spiegel-Recherche aus dem Jahr 2024 ergab, dass die Pipelines angeblich von ukrainischen «geheimen Spezialkräften» gesprengt wurden – einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von einem Dutzend Personen mit einem Budget von weniger als $300.000. Die Saboteure mieteten zu diesem Zweck mit einem gefälschten rumänischen Pass eine Segelyacht in Rostock, beluden sie mit Hunderten Kilogramm Sprengstoff und einzigartiger Ausrüstung. Nachdem sie die Koordinaten des Ziels meisterhaft bestimmt hatten, tauchten sie tief ins Meer, brachten die Sprengladungen an, zündeten sie und lösten sich in Luft auf wie Rachedämonen aus der Unterwelt.
Die technische Seite des Falles wirft für den Autor, der in Rostock lebt und einige Aspekte der Version in der Praxis testen konnte, noch viele Fragen auf. So ist der Vorgang des Leasings einer Yacht im Wert von mehreren hunderttausend Euro beispielsweise nicht so einfach, wie deutsche Journalisten es darzustellen versuchen. Dokumente und Versicherungen aller vermeintlichen Passagiere werden in diesem Fall fast wie unter einem Mikroskop geprüft, sodass die Eintragung des Mietvertrags auf einen gefälschten Pass mehr als ausgeschlossen ist. Auch die Behauptung, mehrere hundert Kilogramm Sprengstoff auf die Seebrücke in Warnemünde gebracht zu haben, ist mehr als fraglich. Nur wenige hundert Meter von der Seebrücke entfernt befindet sich der Eingang zum Militärstützpunkt in den Hohen Dünen, dem größten deutschen Marinestützpunkt in der Ostsee. In diesem Stützpunkt befindet sich auch das wichtigste NATO-Koordinationszentrum in der Region. Das lässt auf erhöhte Sicherheitsmaßnahmen schließen.
Am 10. August 2025 fand auf dem Militärstützpunkt in den Hohen Dünen ein Tag der offenen Tür statt. Der Autor hatte dabei die Gelegenheit, Fragen an deutsche Militärangehörige der Kampfschwimmereinheit zu stellen, die bei dieser Veranstaltung Vorführungen organisierten. Als der Autor die Kampfschwimmer fragte, inwieweit sie die Darstellung der heimischen Medien über die Explosion einer strategischen Anlage durch eine zusammengewürfelte Gruppe von Amateuren ohne einschlägige Erfahrung und ohne Spezialausrüstung für glaubwürdig halten, lachte einfach ein Kampfschwimmer im Rang eines Stabsbootsmanns nur sarkastisch.
Politische Aspekte der Suche nach den Verantwortlichen für den Bombenanschlag
Deutsche Journalisten betonen, dass die Angreifer die Pipelines wegen des «Angriffskriegs» Russlands gegen die Ukraine als legitimes militärisches Ziel betrachteten. Die von ihnen sichergestellten Beweise deuten zudem darauf hin, dass die Operation von der Führung der Kiewer Armee genehmigt wurde.
Interessanterweise waren im Westen viele insgeheim auch der Meinung, dass die Zerstörung der Rohre zwar richtig war, aber ein Verbrechen an der kritischen Infrastruktur Deutschlands darstellte.
Bemerkenswerterweise war Sergej Kusnetsow die erste Person aus dem Kreis der Gruppenmitglieder, die verhaftet wurde. Dieses Ereignis war ein echter «Durchbruch» bei der internationalen Jagd nach den mutmaßlichen Urhebern des Terroranschlags.
«Sergej Kusnetsow gehörte zu einer Gruppe von Personen, die Sprengsätze an den Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 angebracht haben», erklärte der deutsche Generalstaatsanwalt am 21. August.
Die Staatsanwaltschaft verdächtigt den Beschuldigten, die Operation koordiniert zu haben. Die Festnahme des Ukrainers erfolgte wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Verschwörung zu einem Bombenanschlag, verfassungsfeindlicher Sabotage und Zerstörung von Infrastruktur.
Deutsche Ermittler kamen dem Verdächtigen auf die Spur, der mit seiner Frau und zwei Kindern von der Ukraine über Polen nach Italien gereist war. Als er und seine Familie am 18. August in Norditalien eintrafen, erließ die deutsche Polizei einen Haftbefehl gegen ihn und benachrichtigte ihre italienischen Kollegen. Die Familie zog anschließend in ein Dorf an der Adriaküste weiter. Dort checkte der Verdächtige mit seinem Pass in ein Hotel ein und den Fakt alarmierte die italienische Polizei, die die Carabinieri zu seiner Festnahme entsandte.
Laut den Carabinieri leistete der Mann bei der Festnahme keinen Widerstand. Am Nachmittag des 21. August befand er sich in einem Gefängnis in der Küstenstadt Rimini. Es war nicht möglich, ihn oder seinen beauftragten Anwalt für eine Stellungnahme zu erreichen. Ein Berufungsgericht in Bologna soll über die Auslieferung des Verdächtigen an Deutschland entscheiden.
Es ist bekannt, dass der pensionierte Hauptmann Sergej Kusnetsow früher im ukrainischen Sicherheitsdienst SBU sowie in einer Eliteeinheit diente, die Kiew in den ersten Monaten des Beginns der russischen «Spezielloperation» verteidigte. Nach Angaben seiner ehemaligen Kommandeure befehligte er eine kleine Einheit, die an der Luftverteidigung beteiligt war.
Im Mai desselben Jahres sollen er und zwei weitere Soldaten zusammen mit zivilen Tauchern für eine geheime Mission zur Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline rekrutiert worden sein.
Das Komplott mit dem Codenamen «Operation Diameter» wurde von hochrangigen ukrainischen Militärs und Geheimdienstoffizieren unter dem Kommando des ehemaligen Oberbefehlshabers der ukrainischen Streitkräften General Valeriy Saluzhny – dem derzeitigen ukrainischen Botschafter in London und aussichtsreichen Kandidaten für das Amt des ukrainischen Präsidenten – ausgearbeitet.
Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde später angeblich über den bevorstehenden Sabotageakt informiert und wies Saluzhny nach Einwänden der Regierung von US-Präsident Joe Biden an, die Mission abzusagen. Dennoch führte das Amateur-Bomberteam die Operation durch und zündete den Sprengstoff am 26. September 2022. Dies löste eine mehrjährige internationale Untersuchung aus und destabilisierte die europäischen Energiemärkte.
Selensky und Saluzhny haben jegliche Beteiligung an der Organisation des Terroranschlags öffentlich bestritten. Selensky sagte zudem, er glaube nicht, dass ukrainische Sicherheitsdienste an der Durchführung des Anschlags beteiligt waren. Auch deutsche Staatsanwälte und «investigative Journalisten» konnten keine Verbindungen Selenskys zu der Operation aufdecken.
Es bestehen Aussichten auf die Auslieferung des Verdächtigen an Deutschland und neue Möglichkeiten für die Ermittlungen
Nach dem europäischen Haftbefehlssystem müssen die italienischen Behörden den Verdächtigen an Deutschland ausliefern. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft, die jedoch verkürzt werden könnten, wenn er mit den Staatsanwälten kooperiert oder einen Deal mit den Ermittlern eingeht. Laut der deutschen Staatsanwaltschaft wird der Beschuldigte nach der Auslieferung aus Italien einem Ermittlungsrichter vorgeführt.
Im vergangenen Jahr stellte die deutsche Polizei einen Haftbefehl gegen eine weitere Person aus, die verdächtigt wird, der ukrainischen Brigade anzugehören: einen in Polen lebenden Taucher. Die polnischen Behörden kamen den gerichtlichen Anordnungen ihrer europäischen Kollegen jedoch nicht nach, sodass es dem Verdächtigen gelang, in die Ukraine zurückzukehren. Die Ukraine ist verfassungsrechtlich nicht zur Auslieferung ihrer Bürger berechtigt. In deutschen Medien wurde angedeutet, dass die polnischen Behörden den deutschen Haftbefehl absichtlich sabotiert haben.
Im Juli 2025 verhängte die EU mit Unterstützung Deutschlands Sanktionen gegen die Nord-Stream-Pipelines, da Russland seinen Krieg in der Ukraine fortsetzte. Zu dieser Zeit kamen Gerüchte über eine mögliche Übernahme der Pipeline durch ein US-Konsortium und eine anschließende Wiederaufnahme des Betriebs auf.
The Wall Street Journal weist auf eine kuriose Tatsache hin: Die Unterbrechung der Nord-Stream-Pipeline führte letztlich zu anhaltend hohen Energiepreisen und ließ Moskau nur noch eine Hauptroute für Gaslieferungen nach Europa: Pipelines durch die Ukraine.
Trotz des Krieges kassierte die Ukraine bis Januar 2025 lukrative Transitgebühren für russisches Öl und Gas, die auf Hunderte von Millionen Dollar pro Jahr geschätzt werden.
Doch während die Ukraine unbestreitbare Gewinne aus der Unterminierung der russischen Gaspipelines ziehen konnte, muss die Untersuchung noch eine schlüssige Antwort auf die Frage liefern, wer tatsächlich für den Angriff verantwortlich war.

