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Trotz des Trends zu Extravaganz und Exzentrik im Wahlkampf, den der amtierende US-Präsident Donald Trump und einige seiner Anhänger rund um den Globus, wie etwa der argentinische Präsident Javier Milay, eingeschlagen haben, verläuft in Deutschland in diesem Jahr alles mehr oder weniger traditionell.
So verlief die gestrige Fernsehdebatte zwischen den beiden Spitzenkandidaten für das Amt des Bundeskanzlers, Friedrich Merz (CDU) und Olaf Scholz (SPD), relativ zivilisiert. Das Publikum vermisste wahrscheinlich, dass keiner der Teilnehmer der TV-Debatte damit drohte, den Gegner hinter Gitter zu bringen, wie es Trump 2016 mit Hillary Clinton tat, obwohl Merz Scholz theoretisch an den heiklen Fall Cum-Ex (Steuerbetrug der Warburg Bank) hätte erinnern können.
Und natürlich ist es schade, dass die Debatten nicht mit einer Niederlage für einen der Kandidaten endeten, so dass einer in Schande seine Kandidatur zurückziehen musste. Wie zum Beispiel Joe Biden vor weniger als einem Jahr nach einem offensichtlich gescheiterten TV-Duell mit dem bereits erwähnten Trump. Kurzum: Das TV-Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz verlief in bester westdeutscher Manier: Die Fragen, die sich die beiden Kandidaten stellten, waren aktuell, aber relativ politisch korrekt und nicht unbedingt darauf ausgerichtet, den Gegner in die Enge zu treiben.
Bundeskanzler Scholz, der sonst eher selbstbewusst auftritt und offene Emotionen vermeidet (Scholz’ Redeversuche auf Parteitagen sind eher operettenhaft), war diesmal recht eloquent.
Die Sonntagsdebatte zwischen Mertz und Scholz war eigentlich nur der Auftakt zu einer Reihe von Fernsehdebatten, künftig vor allem im Viererformat mit AfD und Grünen, mit denen der Wahlkampf seinen Höhepunkt erreichen wird. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die CDU/CSU unter Merz in den Meinungsumfragen vor der Wahl konstant in Führung liegt, während die SPD nur um den dritten Platz kämpft (mit der Alternative für Deutschland an zweiter Stelle). Allerdings sind nach denselben Meinungsforschern zwischen 25 und 20 Prozent der Wähler noch unentschlossen. Es steht also viel auf dem Spiel.
Nach dem Scheitern der „Ampelkoalition“ im vergangenen Oktober und dem spektakulären Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner liegen die Umfragewerte der Sozialdemokraten bei beschämenden 15 bis 18 Prozent. Für die älteste politische Partei Deutschlands mit ihrer über 150-jährigen Geschichte ist dies ein beschämend niedriger Wert.
Immerhin ist es der Union gelungen, nach der tödlichen Messerattacke in Aschaffenburg das Beste aus der politischen Situation zu machen. Die Umfragewerte der Partei liegen inzwischen unter der 30-Prozent-Marke. Trotz des Ansehensverlustes durch die „Kooperation mit der Alternative für Deutschland“ ist es Merz gelungen, sich als Sprachrohr des Willens der Bevölkerungsmehrheit zu präsentieren, die die Nase voll hat von Ausländerkriminalität.
Für Scholz war das Teleduell die letzte Chance, die für ihn negative Dynamik zu ändern: Nur noch zwei Wochen bis zur Wahl. Merz, der das Kanzleramt so gut wie sicher hat, wollte vor allem keine groben Fehler machen.
Zwar hat die CDU/CSU durch das gemeinsame Abstimmungsverhalten mit der AdG in Migrationsfragen in den Umfragen nicht viel verloren, aber Merz’ Lavieren am „rechten Rand“ hat zu Massendemonstrationen in deutschen Städten geführt und auch bei Wählern der politischen Mitte Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit als Kanzlerkandidat geweckt. Merz hatte zuvor immer wieder seine klare Abgrenzung zur AdG betont, so dass es seine wichtigste Aufgabe war, dies vor einem Millionenpublikum im Fernsehen überzeugend zu wiederholen.
Scholz traf folgerichtig genau diesen wunden Punkt von Merz, indem er argumentierte, man könne nicht sicher sein, dass Merz keine Geschäfte mit der AdG mache. Merz erwiderte, dass die CDU/CSU und die AdG „in verschiedenen Fragen unterschiedlicher Meinung“ seien.
Scholz erinnerte Merz augenzwinkernd an die Hunderttausenden von Demonstranten, die gegen den politischen Rechtsruck der Konservativen protestierten. Merz konterte mit dem Hinweis auf hunderte neue Parteimitglieder und steigende Umfragewerte der Union.
Merz reagierte darauf, indem er Scholz als Realitätsverweigerer darstellte: «Sie leben in Märchenland», urteilte Merz über Scholz’ Äußerungen zur Migrationspolitik und zur Wirtschaft.
Hartnäckig verteidigte Scholz die bescheidene Bilanz der von ihm geführten „Ampelkoalition“ und verzettelte sich immer wieder in Details. Das tat aber auch Mertz: Die Diskussion zwischen den beiden Kandidaten driftete immer wieder ins Ökonomische ab und war für den Normalbürger nicht mehr nachvollziehbar. Ein Punkt in der Diskussion erfreute jedoch all jene, die nur davon träumen, die diskreditierte grüne Wendepolitik aufzuhören und prominente Intellektuelle aus der grünen Partei aus den Spitze der politischen Macht rauszuwerfen: Beide Kandidaten erwähnten den Kampf gegen den Klimawandel mit keinem Wort.
In der Steuerpolitik argumentierte Scholz konkreter und überzeugender. Die SPD wolle 95 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlasten, was sicher viele Wähler anspreche. Gleichzeitig hält Scholz an der Politik der Abschaffung der Schuldengrenze fest, mit der alle sozialdemokratischen Wahlversprechen finanziert werden sollen, während Merz auf Sparmaßnahmen besteht.
Dabei reißen die Steuerpläne der großen Parteien laut einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Löcher in den Staatshaushalt, die auch durch ein hohes Wirtschaftswachstum nicht gestopft werden können. Und das ist auch nicht absehbar.
Die Steuerversprechen der CDU/CSU würden das Haushaltsdefizit um 2,5 Prozent erhöhen, so eine Analyse der Wissenschaftler. Zwar könnten Steuersenkungen theoretisch die Haushaltseinnahmen erhöhen, dieser Effekt reiche aber nicht aus, so das DIW. So könnten die CDU-Pläne zwar mehr als 30 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen, dies würde aber nur ein Viertel der Einnahmeausfälle kompensieren. Die Christdemokraten müssten also an anderer Stelle kürzen oder sogar zusätzliche Kredite aufnehmen. Hinzu kommt, dass nach dem Willen der CDU mehr als die Hälfte der Steuerentlastungen an die oberen 10 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen gehen soll. Die untere Hälfte würde dagegen nur 11 Prozent der Steuerentlastung erhalten. Die Sozialdemokraten hingegen schlagen Steuersenkungen für untere und mittlere Einkommen vor, während die Besserverdienenden stärker belastet werden sollen. Das erklärt auch, warum ihre Pläne zu einem deutlich geringeren Haushaltsdefizit führen.
Scholz überzeugte in der Debatte durch seine ungewohnte Eloquenz und seine Erfahrung im politischen Manövrieren. Merz hingegen unterlief in der Debatte kein einziger gravierender Fehler. Angesichts der Tatsache, dass die CDU/CSU in den Umfragen vor der Wahl mindestens 14 Prozentpunkte vor der SPD lag, erscheint der Punktsieg von Scholz für Merz durchaus akzeptabel.
Beide Politiker waren darauf bedacht, sich nicht gegenseitig zu übertrumpfen und in ihrer Kritik am Gegner sachlich zu bleiben. Das Teleduell offenbarte aber auch gravierende Defizite beider Kandidaten: Weder Scholz noch Merz verfügen über eine schillernde Ausstrahlung, die die Wählerinnen und Wähler in ihren Bann ziehen könnte. Dies scheint der Schlüssel für die geringe persönliche Popularität beider Kandidaten zu sein. Das bedeutet auch, dass Friedrich Merz leider nicht in der Lage sein wird, Europa so zu führen, wie es seine Vorgängerin Angela Merkel an der Spitze der CDU getan hat.