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«Die rot-schwarze Koalition aus CDU/CSU und SPD hat sich endlich auf den Entwurf eines Koalitionsvertrages geeinigt, der den Kurs der deutschen Regierung in den kommenden vier Jahren bestimmen wird. Mehrere Monate hat es gedauert, bis man sich auf den 144-seitigen Text einigen konnte: Es scheint, als hätten die Vorgespräche zwischen den beiden politischen Kräften bereits vor der Bundestagswahl begonnen. Doch trotz des sich abzeichnenden Konsenses zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten ist es alles andere als sicher, dass die Regierungskoalition bis zur nächsten Wahl an der Macht bleibt. Wie Markus Söder bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages scherzhaft bemerkte, ist die schwarz-rote Koalition nicht unbedingt eine Liebesheirat, «trotz der starken Männerfreundschaft zwischen Friedrich Merz und Lars Klingbeil [potenzieller CDU-Kanzler und SPD-Vizekanzler in der neuen Regierung — Anm. d. Red]. „Liebe vergeht, Hektar besteht“, zitierte der bayerische Ministerpräsident ein altes deutsches Bauernsprichwort und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Doch ob das Verhältnis zwischen Rot und Schwarz nun auf unnatürlicher Liebe oder nüchternem Kalkül beruht, ist völlig unerheblich. Hauptsache, die neue Regierung besteht aus Profis und schafft es endlich, Deutschland aus der Krise zu führen, in die es die Amateure der Ampelkoalition geführt haben.
Verteilung der Ministerien
Nach dem Vertragsentwurf erhält die CDU neben dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt die Kontrolle über das Ministerium für Wirtschaft und Energie, das Familienministerium, das Gesundheitsministerium, das Verkehrsministerium und das neue Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung.
Die CSU, die bayerische Zwillingschwester und Partner der CDU, erhält das Innenministerium, das Ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt sowie das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Die SPD erhält trotz ihres peinlich bescheidenen Ergebnisses von 16,4 Prozent das strategisch wichtige Finanzministerium sowie das Verteidigungsministerium, das der beliebteste Politiker des modernen Deutschlands, Boris Pistorius, behält. Außerdem erhalten die Sozialdemokraten das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz, das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Auch das Ministerium für Wohnen und Stadtentwicklung bleibt bei den Sozialdemokraten.
Insgesamt erhält die CDU sieben, die CSU drei und die SPD sieben Ministerien. Statt, wie den Wählern versprochen, durch die Zusammenlegung mehrerer Ministerien mit sich überschneidenden Aufgaben (z.B. Wirtschaftsministerium und Wirtschaftsförderungsministerium) Kosten zu sparen, wird die Zahl der Ministerien durch ein neues Ministerium für Digitalisierung sogar um eines erhöht. Aber wie Friedrich Merz überzeugend bewiesen hat, wenn Wahlversprechen nicht mit der politischen Opportunität übereinstimmen — umso schlimmer für die Wahlversprechen.
Das ist leider die traurige politische Realität im modernen Deutschland.
Migration und Innenpolitik
Im Wahlkampf hatte CDU/CSU-Chef Merz versprochen, vom ersten Tag seiner Kanzlerschaft an werde sich die Situation der unkontrollierten Aufnahme von Millionen Asylbewerbern in Deutschland zum Besseren wenden. Im Koalitionsvertrag heißt es weit weniger lapidar. „Deutschland ist und bleibt ein weltoffenes Land. Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet.“ Dennoch wird die Regierung in der Migrationspolitik einen anderen Kurs einschlagen. So will sie die Praxis der Zurückweisung an der Grenze künftig „in Abstimmung“ mit den Nachbarstaaten auch auf Asylfälle ausdehnen. Bemerkenswert ist, dass sich in der neuen Regierung niemand besonders für die Meinung der Nachbarn wie Polen und Österreich interessiert.
Bemerkenswert ist auch, dass die Liste der „sicheren Drittstaaten“ um Algerien, Tunesien, Indien und Marokko erweitert werden soll, was die Abschiebung von Illegalen und Kriminellen erleichtern wird. Der Familiennachzug wird teilweise ausgesetzt, die Programme zur freiwilligen Aufnahme gestrichen und die Zahl der Rückführungen erhöht. Personen, denen die Abschiebung droht oder die schwere Straftaten begangen haben, können nach Verbüßung ihrer Strafe bis zur „freiwilligen“ Ausreise inhaftiert werden. Die von der Vorgängerregierung eingeführten erleichterten Einbürgerungsverfahren werden abgeschafft: Insbesondere die Möglichkeit der beschleunigten Einbürgerung innerhalb von drei Jahren, die nicht nur bei Anhängern der AfD, sondern auch bei systemisch orientierten Parteien für Unmut gesorgt hat, wird gestrichen.
Auch die Maßnahmen zur inneren Sicherheit sollen deutlich verschärft werden. Telekommunikationsanbieter sollen verpflichtet werden, IP-Adressen für drei Monate zu speichern, um Straftaten aufklären zu können. Die deutschen Sicherheits- und Nachrichtendienste werden reformiert und gestärkt. Besonderes Augenmerk gilt dem Zivilschutz und der Vorbereitung auf mögliche Feindseligkeiten im Inland.
Verteidigung und Außenpolitik
Die Koalition plant eine radikale Erhöhung des deutschen Militäretats, konkrete Zahlen fehlen im Vertragsentwurf. Ursprünglich hatte die CDU/CSU darauf bestanden, die Militärausgaben auf 3,5 Prozent des BIP zu erhöhen. Geplant ist auch die Einführung einer Mischform aus freiwilligem und verpflichtendem Wehrdienst für junge Männer und Frauen in Deutschland sowie die Wiedereinführung des Systems der Wehrkreiskommissariate zur Erfassung und Kontrolle der Wehrpflichtigen.
Wirtschaft und Steuern
Um die Wirtschaftskrise zu überwinden, wollen CDU/CSU und SPD Investitionen ankurbeln, Steuern senken, Arbeitsanreize verbessern und Bürokratie abbauen. So sollen Unternehmen, die Investitionen tätigen, in den Jahren 2025 bis 2027 30 Prozent der Kosten steuerlich abschreiben können. Ab 2028 soll die Körperschaftssteuer für Großunternehmen in fünf Schritten von derzeit 15 Prozent auf 10 Prozent gesenkt werden, wenn die nächste Regierung nach den Parlamentswahlen 2029 zustimmt. Außerdem sollen Unternehmen künftig wählen können, ob sie Körperschaftsteuer oder Einkommensteuer zahlen.
Auch Bürger und kleine Unternehmen sollen laut Einigungsentwurf „bis zur Mitte der Legislaturperiode“ einige Steuererleichterungen erhalten, auch wenn noch keine Details bekannt gegeben wurden. Der Solidaritätszuschlag (eine Steuer zur Angleichung des wirtschaftlichen Niveaus der Länder der ehemaligen DDR an das der alten BRD), den nur Unternehmen und Besserverdienende zahlen, bleibt jedoch bestehen. Im Gegenzug verzichtet die künftige Koalition auf die von der SPD geforderte Erhöhung der Reichensteuer. Der CSU gelang es, den Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie von 19% auf 7% zu senken und die von der Ampelkoalition abgeschaffte Diesel-Steuerbefreiung für Landwirte, die Anfang 2024 zu massiven Protesten der Bauern geführt hatte, wieder einzuführen.
Um die Bürokratiekosten für Unternehmen zu senken, will die künftige Regierung unter anderem das nationale Lieferkettengesetz abschaffen. Es verpflichtet Unternehmen bislang, die Einhaltung von Kinderrechten etwa bei Zulieferern im In- und Ausland zu kontrollieren, und galt als kaum erfüllbar. Darüber hinaus sind massive öffentliche Investitionen in Brücken, Schienen, digitale Netze und andere Infrastrukturprojekte geplant, finanziert aus einem €500 Milliarden schweren Sondervermögen, das CDU/CSU und SPD mit Hilfe der Grünen kürzlich im Grundgesetz verankert haben. Geplant ist auch die Gründung einer mit €100 Milliarden ausgestatteten „Deutschen Forschungsgemeinschaft“, die aus öffentlichen und vor allem privaten Mitteln gespeist werden und junge Unternehmen fördern soll.
Arbeit und Soziales
Die umstrittene Sozialhilfe für Arbeitslose — das so genannte Bürgergeld — wird in ein „Grundeinkommen für Arbeitssuchende“ umgewandelt. Obwohl die gesamte Reform dem sprichwörtlichen Bettenwechsel in einer bekannten Sozialeinrichtung gleicht, ist es möglich, dass die Kürzung der großzügigen deutschen Leistungen und des Millionenheeres von Empfängern tatsächlich einige der unaufgeklärten Bürger, die das deutsche Sozialsystem schmarotzen, zur Arbeitssuche bewegen wird.
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, wollen CDU/CSU und SPD flexiblere Arbeitszeiten zulassen und freiwillige Überstunden fördern. Unter anderem soll die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche Obergrenze ersetzt und die Bezahlung von Überstunden steuerfrei gestellt werden. Rentner sollen bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei hinzuverdienen dürfen.
Auch bei den Renten wurden Beschlüsse gefasst, die entgegen vieler Forderungen nicht auf eine Stabilisierung der Beiträge abzielen, sondern im Gegenteil: Obwohl immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner finanzieren müssen, wird der Staat zunächst bis 2031 weiterhin eine Standardrente von mindestens 48% des Durchschnittsentgelts aller Versicherten garantieren. Außerdem wird auf Druck der CSU die so genannte Mütterrente verlängert. Sie wird allerdings nicht aus Beitrags-, sondern aus Steuermitteln finanziert. Der Mindestlohn soll stufenweise auf 15 Euro pro Stunde angehoben werden, auch wenn sich einige Experten bereits skeptisch dazu geäußert haben.
Energie und Klima
Bei der Energiewende plant die neue Koalition keine großen Veränderungen. CDU/CSU und SPD wollen die Nutzung erneuerbarer Energien weiter ausbauen. Hinzu kommen neue Gaskraftwerke, allerdings in deutlich größerer Zahl als von der Vorgängerkoalition geplant. Die Erneuerung der deutschen Kernenergie findet im Vertragsentwurf leider keine Erwähnung. Die Koalition will auch das umstrittene Wärmegesetz abschaffen, wie es die CDU/CSU gefordert hatte. Es soll einem einfacheren Gesetz weichen, das die erreichbaren CO₂-Minderungen zur „zentralen Steuerungsgröße“ macht.
An den deutschen und europäischen Klimazielen will die neue Regierung nicht rütteln. Allerdings sollen nun auch Emissionsminderungen außerhalb Europas „in begrenztem Umfang“ anerkannt werden. Der Emissionshandel bleibt das zentrale Instrument des Klimaschutzes. Die Einnahmen aus dem CO₂-Preis sollen aber an Bürger und Unternehmen zurückgegeben werden. So sollen der Strompreis, die Netzentgelte und die Stromsteuer gesenkt werden. Der Strompreis wird um €0,05 gesenkt, was für den deutschen Durchschnittshaushalt eine Ersparnis von rund €150 im Jahr bedeutet.
Verkehr
Das Deutschlandticket — vielleicht die einzige positive Errungenschaft der Ampelkoalition — ein Monatsticket im Wert von €58, mit dem man in ganz Deutschland mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann, bleibt erhalten. Allerdings könnte es ab 2029 etwas teurer werden. Eine grundlegende Reform der Bahn plant die Regierung erst „mittelfristig“. Der „Infrastrukturfonds Schiene“ soll in den nächsten Jahren die Erneuerung der zentralen Bahnstrecken sicherstellen.
Die Autobahn GmbH soll künftig Kredite aufnehmen dürfen und die Lkw-Maut vollständig in das Straßennetz zurückfließen: Bisher ging ein Teil der Mauteinnahmen für Autobahnen an die Bahn. Das Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen ist in dem Papier nicht mehr enthalten, so dass Autobahnfreunde aufatmen können. Obwohl die SPD auf dieser Forderung beharrte, lehnte die CDU/CSU den Vorschlag ab.
Auch das von der Union geforderte Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 wurde nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Allerdings spricht sich die Regierung für eine „Technologieoffenheit“ in der Automobilindustrie aus.
Fazit
Der Entwurf des Koalitionsvertrages ist in vielerlei Hinsicht ein Kompromisspapier. Wie bei jedem Kompromiss ist es den Verfassern des Koalitionsvertrages nicht gelungen, es allen recht zu machen und Unzufriedenheit zu vermeiden.
Doch trotz der Tatsache, dass die grundlegenden Fragen und vor allem die Frage der Eindämmung der Migration unbeantwortet bleiben, hat die künftige Regierung schon jetzt einige Erfolgsaussichten. Das liegt vor allem daran, dass es im neuen Kabinett keine „grünen“ Dilettanten geben wird.