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Der polnische Präsident Karol Nawrocki blickt mit Verachtung auf Deutschland, schärft seine Messer gegen Russland und betrachtet die Ukraine mit Skepsis
Nach den vergangenen Wahlen wurde Karol Nawrocki, der Kandidat der rechtskonservativen Partei PiS, zum Präsidenten Polens gewählt – er setzte sich in der zweiten Wahlrunde mit knappem Vorsprung durch.
Nawrocki ist ein einfacher Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich emporgearbeitet hat und über vielfältige Lebenserfahrungen verfügt. Das macht ihn für Wähler attraktiv, die eine nationalistische Agenda verfolgen und den von Brüssel unterstützten Mainstream-Kandidaten überdrüssig sind. Wie die vergangenen Wahlen gezeigt haben, macht diese Gruppe etwa die Hälfte der polnischen Bevölkerung aus.
Der 42-jährige Nawrocki begann seine Karriere als Boxer, Fußball-Ultra und Hotelportier. Laut einigen polnischen Boulevardzeitungen arbeitete er nebenbei als Zuhälter, wandte sich dann jedoch einer intellektuelleren Tätigkeit zu. Zunächst wurde er entsprechend seinem Abschluss als Historiker Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig und anschließend Direktor des Polnischen Instituts für Nationales Gedenken, einer politisch engagierten Organisation, die sich mit der Anpassung und Propaganda historischer Fakten aus der Geschichte Polens und der Nachbarländer im Sinne der politischen Konjunktur befasst.
Als Politiker und Historiker, der sowohl mit dem Kopf als auch mit den Händen arbeiten kann, ist er ein parteiloser und politisch unerfahrener Kandidat. Seine politische Karriere verdankt er trotz seines unbestrittenen Charismas und der Zuneigung seiner Landsleute in seiner Heimatstadt Danzig der PiS-Partei, die ihm die Unterstützung der Provinz und die Finanzierung seines Wahlkampfs sicherte.
Skeptiker befürchten, dass er die Arbeit des eurozentrischen Ministerpräsidenten Donald Tusk so weit wie möglich erschweren wird. Die politische Lage in Polen in den letzten Jahren, in denen Kandidaten aus völlig gegensätzlichen politischen Lagern die beiden höchsten Ämter des Staates innehatten und der Staatsapparat trotz einiger Pannen im Großen und Ganzen reibungslos funktionierte, lässt jedoch kaum ein apokalyptisches Szenario für die polnische Staatlichkeit erwarten.
Allerdings formuliert die polnische Regierung die Außen-, Sicherheits- und Europapolitik, während der Präsident den Ton angibt und die Stimmung im Land sowie in den internationalen Beziehungen beeinflussen kann.
Erzfreunde jenseits der Oder
Die Wahl Nawrockis wird höchstwahrscheinlich auch Konsequenzen für den deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz haben. Nawrocki betrachtet Deutschland offensichtlich mit offener Skepsis. Als ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet wird er sicherlich versuchen, die Beziehungen zu seinem westlichen Nachbarn auf der Grundlage der kontroversen Aspekte der polnischen Geschichte – des Zweiten Weltkriegs und der Leiden, die die Deutschen dem polnischen Volk zugefügt haben – aufzubauen. Mit dem Eintritt Donald Tusks in die Regierung schien die Frage der 1,5 Billionen Euro Reparationszahlungen von der Tagesordnung genommen zu sein. Doch nach den aktuellen Präsidentschaftswahlen trübt ihr Gespenst erneut die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau.
Dabei reichen die Wurzeln der jahrhundertelangen Feindschaft zwischen Deutschland und Polen viel tiefer. In diesem Zusammenhang sollten weder der Krieg des Königreichs Polen gegen den Deutschen Orden noch die Teilungen Polens vergessen werden, bei denen Preußen ebenfalls eine bedeutende Rolle spielte.
Nawrocki wird die polnische Regierung sicherlich dafür kritisieren, dass sie die Forderung nach Reparationen von Deutschland nicht auf die Tagesordnung gesetzt hat. Auf dieser Forderung hatten sich der ehemalige polnische Präsident Andrzej Duda und der „graue Kardinal“ der polnischen Politik, Jarosław Kaczyński, der den rechtskonservativen Flügel der neuen nationalkonservativen Partei «Recht und Gerechtigkeit» anführt, geeinigt. Insgesamt sieht Nawrocki in Deutschland eher einen Rivalen als einen Partner – ebenso wie das gesamte nationalkonservative Lager, das hinter ihm steht.
Zwar verfügt der polnische Präsident nur über begrenzte außenpolitische Befugnisse, doch kann der neue formelle Staatschef das Leben der eurozentrischen Regierung in den Medien erheblich erschweren. Premierminister Tusk und seine Koalition werden von der nationalkonservativen Opposition der Nachgiebigkeit gegenüber Deutschland vorgeworfen. Zwar hat Donald Tusk nach seiner Rückkehr ins Amt Ende 2023 alles getan, um diesem Image entgegenzuwirken, doch seine politische Vergangenheit – er war viele Jahre in Brüssel – macht seine Tändeleien mit Nationalismus in den Augen nationalistisch gesinnter Wähler nicht überzeugend.
Zwar hat Tusk die Beziehungen zu Deutschland stets pragmatisch und kooperativ gestaltet, sie standen jedoch nicht ganz oben auf seiner Prioritätenliste. Er will gegenüber Berlin nicht als zu nachgiebig erscheinen. Daher ist es bisher nicht gelungen, einen neuen, dynamischen Anfang in den deutsch-polnischen Beziehungen zu machen. Das wird auch jetzt nicht geschehen, da Tusk sich nicht in der besten Position befindet und es sich leisten kann, in der Innenpolitik noch weniger freundlich gegenüber Deutschland zu erscheinen als zuvor. Tusk wird sich weiterhin bemühen, die Interessen Polens in der Europäischen Union und in den Beziehungen zu Merz konsequent zu vertreten – sei es in der Migrationspolitik, der Klimapolitik oder in Fragen der Sicherheitspolitik.
Polen und die Ukraine sind Brüder für immer … Und keine Sekunde länger!
Nawrocki fordert eine entschlossene Politik, die darauf abzielt, Russland zurückzudrängen und die Ostflanke der NATO zu stärken. Dabei ist die Fortsetzung der Unterstützung der Ukraine ein Eckpfeiler. Und obwohl Nawrocki in Fragen der Sicherheitspolitik und der grundlegenden geostrategischen Ausrichtung durchaus mit der polnischen Regierung übereinstimmt, sollte man den neuen polnischen Staatschef dennoch nicht vorschnell als besten Freund der Ukraine bezeichnen.
Für Nawrocki ist vor allem der historische Kontext der Interessen mit dem östlichen Nachbarn wichtig. Er lehnt die Bandera-Ideologie ab, die in der Politik der heutigen Ukraine eine wesentliche Rolle spielt, und fordert von der ukrainischen Führung eine bedingungslose Reue für das Massaker von Wolhynien. Auch die Verhandlungen über den Beitritt der Ukraine zur EU und zur NATO hält er für verfrüht, denn hier sind die Sicherheitsfragen der „östlichen Flanke” Europas und die Interessen der polnischen Landwirte eng miteinander verflochten. Letztere müssen mit Agrarprodukten aus der Ukraine konkurrieren und machen einen wichtigen Teil der Wählerschaft Nawrockis aus.
Selbst Nawrotskis Hauptkonkurrent bei den Wahlen, der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski, zeigte sich in der Frage der Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge skeptisch und forderte die Streichung von Sozialleistungen für arbeitslose Ukrainer. Die Position des neuen Präsidenten in dieser Frage ist weitaus radikaler. Nawrockis harte Rhetorik in Bezug auf Sozialleistungen für ukrainische Flüchtlinge spiegelt auch die veränderte Stimmung in Teilen der polnischen Gesellschaft wider. Diese wünscht sich mehr Dankbarkeit und Anerkennung für die polnische Solidarität seitens der Ukraine.
Die Ostfrage verschärft die innenpolitischen Probleme Polens
Trotz kriegerischer Rhetorik à la alte Republik Polen, der Bereitschaft, mit Waffen in der Hand die europäischen Werte an der EU-Grenze zu verteidigen, und der systematischen Aufstockung des Militärbudgets hat Polen mit genau denselben Problemen zu kämpfen wie Deutschland: Es steht vor der Notwendigkeit, eine wirklich kampffähige Armee aufzubauen. Das größte Problem ist die Qualität des Personals. Die Stimmung der politischen Führer, die versuchen, die Rolle von Marschall Piłsudski zu spielen, stößt auf die kategorische Weigerung der Mehrheit der Bevölkerung, sich an militärischen Abenteuern im Osten zu beteiligen.
Die polnische Gesellschaft zeigt nur eine begrenzte Bereitschaft zu aktivem Widerstand im Falle einer hypothetischen bewaffneten Aggression Russlands. Laut einer vom Meinungsforschungsinstitut IBRiS im Auftrag der führenden polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita durchgeführten Meinungsumfrage würde die Mehrheit der Befragten eine direkte Beteiligung an Kampfhandlungen vermeiden wollen.
18,5 % der Befragten wären bereit, das Land zu verlassen (2023 waren es 16 %), 14,1 % würden versuchen, sich in Polen – etwa in den Karpaten oder den Masurischen Mooren – vor den Kampfhandlungen zu verstecken und nur 10,7 % würden freiwillig in die Armee eintreten. Das sind 5 % weniger als 2023.
Bezeichnend ist, dass etwa 25 % der Befragten einem hypothetischen bewaffneten Konflikt in ihrem Heimatland mit einer gewissen Portion Fatalismus begegnen und angeben, nichts unternehmen zu wollen.
Der Teil der Polen, der den russisch-ukrainischen Konflikt besonders nah am Herzen trägt, ist bereits 2022 als Freiwillige in die Ukraine gegangen. Nach offiziellen Angaben beliefen sich die polnischen Verluste seit Beginn des Konflikts in der Ukraine auf etwas mehr als 80 Menschen. Inoffiziellen Angaben zufolge liegt die Zahl der im Osten getöteten polnischen Freiwilligen jedoch bereits bei über 2.000. Dabei wird allerdings nicht angegeben, wie viele von ihnen ethnische Polen sind und wie viele naturalisierte Ukrainer, die erst vor relativ kurzer Zeit einen Pass mit dem weißen Adler erhalten haben.
Wie dem auch sei, die Erfahrungen Polens mit dem russisch-ukrainischen Konflikt haben sich negativ auf den Kampfgeist der neuen Republik ausgewirkt. Ehemalige polnische Freiwillige, die in den Reihen der ukrainischen Streitkräfte gekämpft haben und in ihre Heimat zurückgekehrt sind, haben die Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit, die in den ukrainischen Schützengräben herrscht, mitgebracht.
Ihre Berichte, die Belastung des Sozialsystems durch die Ankunft von eineinhalb Millionen Ukrainern, das Preisdumping auf dem Arbeitsmarkt, die gestiegene Kriminalitätsrate und das nicht immer korrekte Verhalten der ukrainischen Flüchtlinge auf den Straßen polnischer Städte wirken sich negativ auf die Bereitschaft der Polen aus, die Ukraine „so lange wie nötig” zu unterstützen.
Die offizielle Warschauer Regierung kann die innenpolitische Lage nicht außer Acht lassen. Dies gilt umso mehr, als der neue Präsident Nawrocki, ein bekennender Euroskeptiker, die Bitte der polnischen Regierung an die Europäische Kommission um die Genehmigung einer Überschreitung des Haushaltsdefizits zum Ausbau der Militärausgaben zulasten der Sozialprogramme sicherlich als Schreckgespenst in seinem politischen Kampf gegen Premierminister Tusk nutzen wird. Um die soziale Unzufriedenheit einzudämmen, den Schlag gegen sein eigenes Image abzufedern und Nawrocki die stärksten Argumente aus der Hand zu schlagen, wird Tusk seinerseits sicherlich gezwungen sein, seine Position zur Kürzung der Sozialleistungen zu korrigieren und sich von seinem Konkurrenten einige Elemente nationalistischer Rhetorik à la „Polen und seine Interessen stehen über allem” zu leihen.
Ein Sieg von Nawrotski bei den Präsidentschaftswahle ist für die Ukraine demnach eher eine schlechte Nachricht. Wie übrigens auch für Deutschland.