Foto © dpa
Die Landtagswahl in Brandenburg ist vorbei. Und die Sozialdemokraten haben sie überzeugend gewonnen — ganz im Gegensatz zu den mehr als bescheidenen Ergebnissen der SPD in den Nachbarländern Sachsen und Thüringen, wo die Kanzlerpartei nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde kam. In Brandenburg dagegen war das SPD-Ergebnis mit fast 31 Prozent und dem verdienten ersten Platz weitaus beeindruckender. Aber lag das an Olaf Scholz, seinen administrativen Ressourcen und seiner unbestrittenen Autorität als Bundesvorsitzender der Partei? Mitnichten.
Woidke gegen Scholz
Die Brandenburger Sozialdemokraten, die in der Region seit 1990 ununterbrochen gewonnen haben, verdanken ihren Triumph nur einem Mann: Ministerpräsident Dietmar Woidke, der über eine enorme persönliche Popularität verfügt und es riskierte, den Wählern ein festes Rücktrittsversprechen zu geben, sollte die AfD bei der Wahl den ersten Platz belegen. Im Ergebnis blieb die AfD diesmal einen halben Schritt hinter der SPD zurück, obwohl sie mit 29,2 Prozent ebenfalls ein recht überzeugendes Ergebnis erzielte. Und, wie Analysten sagen, hat die SPD diesmal mindestens 3-4 Prozent der Stimmen von Wählern erhalten, die traditionell andere Parteien unterstützen — CDU und Grüne, die beschlossen haben, diese Tradition zu ändern, nur um zu verhindern, dass die AfD einen Sieg feiert und Woidke vor die Tür setzt.
Nun, Woidke ist das Risiko eingegangen, auf «Zero» zu setzen, und hat gewonnen. Auch die SPD hat gewonnen und zeigt, dass es zu früh ist, die älteste Partei Deutschlands mit ihrer über 150-jährigen Geschichte abzuschreiben. Aber was ist mit Scholz? War der Kanzler, der zur UN-Vollversammlung in New York weilte und die Nachricht aus Brandenburg erhielt, wirklich glücklich? Wie sagte doch Genosse Suchow in dem unsterblichen Film «Weiße Sonne der Wüste»: «Das ist unwahrscheinlich!»
Im Wahlkampf versuchte Woidke, sich so weit wie möglich von seinem ungeliebten Gönner zu distanzieren. In mancher Hinsicht wirkte das anekdotisch, etwa mit dem Slogan auf Wahlplakaten „Wenn Glatze, dann Woidke“. Denn weder der Bundeskanzler noch der Ministerpräsident haben üppiges Haar auf dem Kopf, so dass die Wähler sicher sein mussten, den richtigen „Glatzkopf“ gewählt zu haben. Auf der anderen Seite wirkte Woidkes offen geäußerter Wunsch an Scholz, im Wahlkampf nicht in Brandenburg aufzutreten und die Wählergunst der Partei nicht zu brechen, fast wie eine Beleidigung. Wäre Scholz ein etwas selbstverliebterer Politiker, hätte er die Demarche des brandenburgischen Regierungschefs vielleicht so verstanden. Wenn Scholz sich die «beleidigte Leberwurst» vom ukrainischen Botschafter Andrej Melnik gefallen laasen, konnte er theoretisch den Affront eines populäreren Parteimitglieds einfach nicht bemerkt haben. Dass Scholz im brandenburgischen Potsdam — also in Woidkes Revier — wohnt, verlieh der „Leberwurst“ nur eine besondere Pikanterie.
Betrachtet man die Brandenburger Wahl in einem größeren Zusammenhang, so zeigt sich, dass die „Ampelkoalition“ durch den Erfolg der SPD eine mikroskopisch kleine Chance hatte, den Bundesbürgern zu beweisen, dass die „Ampel“ an der Spitze der Landesregierung wenigstens noch ein Mindestmaß an politischer Vernunft besitzt. Wenn eine Koalition aus drei Parteien, die sich hassen, es schafft, einen Haushalt zu verabschieden und sich über die Renten zu einigen — vielleicht können die Bürger die „Ampel“ bis zur nächsten Wahl ertragen, ohne schon beim Wort „Koalition“ vor Abscheu zu schaudern.
Erneutes Scheitern der Grünen
Doch während Scholz bei der Wahl eine empfindliche taktische Niederlage einstecken musste, kam das Ergebnis für seine Kollegen aus dem gefährlichen parlamentarischen Betrieb und die Potsdamer Nachbarn von den «Grünen» einem Desaster gleich. „Die Grünen, die die Prognosen gelesen und mit einer Niederlage gerechnet hatten, setzten ihre letzten Hoffnungen auf Marie Schäffer, eine aufstrebende Informatikerin und Direktkandidatin im Wahlkreis 21, doch auch hier unterlag der Kandidat ihrer Partei der brandenburgischen Bildungs- und Wissenschaftsministerin Manja Schüle von der SPD mit großem Abstand. Am Ende kamen die Grünen auf magere 4,1 Prozent und blieben — zum Glück für Brandenburg — nach den gescheiterten Wahlen in Sachsen und Thüringen im Landtag außen vor. In Brandenburg hat sich ihr Ergebnis im Vergleich zur letzten Wahl 2019, als sie 10,8 Prozent erreichten und Teil einer „Kenia-Koalition“ mit SPD und CDU waren, mehr als halbiert.
Die Wahl in Brandenburg ist ein merkwürdiger Indikator dafür, dass einige Wahlmuster im deutschen politischen Leben sind schon in der Vergangenheit. Waren es früher oft die Grünen, die von einer hohen Wahlbeteiligung profitierten, so sind es heute andere Parteien, die von diesem Phänomen profitieren. Zu den unangenehmsten Faktoren für die Grünen gehört, dass auch junge Menschen, die nach dem Prinzip „alles Gute gegen alles Schlechte“ die neoliberalen Grünen nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen wählen, ihre Wahlpräferenz ändern, weil sie von den „grünen Versprechungen“ desillusioniert sind. In Brandenburg verloren die Grünen bei den 16- bis 24-Jährigen 24 Prozent, mehr als in jeder anderen Altersgruppe.
Unsichere Aussichten für Sarah Wagenknecht und ihr Bündnis
Die 13,5 Prozent für Sarah Wagenknechts Bündnis, eine neue politische Kraft, sind der Joker in der politischen Landkarte Brandenburgs. Ohne die Beteiligung der leidenschaftlichen Sarah scheint eine Regierungskoalition undenkbar.
Die Kanzlerpartei SPD erhält in der neuen Legislaturperiode 32 von 88 Sitzen im Landtag, die Alternative für Deutschland 30 Sitze und damit eine Sperrminorität. Die 14 Stimmen des Bündnisses von Sarah Wagenknecht ergeben zusammen mit den Stimmen der Alternative für Deutschland insgesamt 44 Stimmen — genau so viele, wie eine hypothetische Koalition aus SPD und CDU erhalten könnte.
Für eine Mehrheit im 88 Sitze zählenden Landtag sind aber 45 Koalitionsabgeordnete erforderlich, so dass Sarah Wagenknecht wohl bald zum Objekt vorübergehender Koalitionszärtlichkeiten sowohl der Sozialdemokraten als auch ihrer christdemokratischen Juniorpartner werden dürfte.
Die Koalition, die mit Sicherheit aus der SPD, dem Wagenknecht-Bündnis und der CDU bestehen wird, da die AfD eine Verstoßenepartei war und ist, wird in vielerlei Hinsicht der ebenfalls nicht lebensfähigen Formation des Bundestages — der „Ampelkoalition“, in der sich alle Mitglieder nur gegenseitig tolerieren — ähneln. Allerdings hat die Brandenburger Koalition Dietmar Woidke und sein persönliches Rating, die Ampelkoalition nicht. Das Bündnis aus Schwan, Krebs und Hecht — also SPD, Bündnis und CDU — könnte sich also entgegen den Prognosen der Skeptiker durchaus als tragfähig erweisen.
Zumindest für eine gewisse Zeit.