Nach einer Serie innenpolitischer Misserfolge und am Vorabend einer für die deutsche Sozialdemokratie problematischen Landtagswahl in Brandenburg muss es Olaf Scholz wie eine gute Idee vorgekommen sein, eine ferne und geheimnisvolle Region zu besuchen. Rote Teppiche, ein einzigartiges orientalisches Flair, milliardenschwere Vertragsabschlüsse und die Zusicherung unverbrüchlicher Freundschaft seitens der zentralasiatischen Machthaber… Normalerweise könnte eine solche PR-Tour die schlechten Umfragewerte des Bundeskanzlers vor der Wahl am 22. September etwas aufpolieren. Doch diesmal lief etwas schief.
Die Metamorphose von Olaf Scholz
Olaf Scholz ist ein Politiker mit einer interessanten Biographie. Einst, als er die Naturkrause hatte, brachte der junge Rebell und brillante Redner als politischer Leiter der JuSo — des westdeutschen sozialdemokratischen „Komsomol“ — Hunderttausende auf Antikriegsdemonstrationen gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland auf. In den 1980er Jahren überzeugte der junge Sozialist die Wähler mit seiner Aufrichtigkeit und seiner Bereitschaft, den „Bonzen“ und Kriegstreibern mutig die Stirn zu bieten.
Seitdem hat sich Scholz stark verändert. Leider sind mit den altersbedingten Veränderungen auch Teile des Gesamtbildes eines Kämpfers für Frieden und die Rechte der Arbeiterklasse verloren gegangen. Der Cum-Ex-Skandal als Hamburger Bürgermeister, der Rhetorikwechsel vom Pazifisten zum Militaristen und die falschen Entscheidungen als Regierungschef, die die Lage der arbeitenden Massen in ganzen Branchen verschlechterten, sind an den deutschen Wählern nicht spurlos vorbeigegangen.
Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sind zwei Drittel der Deutschen der Meinung, dass der Kanzler einen schlechten Job macht. Gleichzeitig ist Olaf Scholz selbst davon überzeugt, dass die Wähler ihn eindeutig ungerecht behandeln und die „schrecklichen“ Bedingungen, unter denen er arbeiten muss, nicht berücksichtigen. Der Kanzler, so Scholz selbst, mache einen hervorragenden Job. Es ist nur so, dass die dummen und oberflächlichen Medien in ihrer unkonstruktiven Kritik nur die Versäumnisse hervorheben und die unbestrittenen Leistungen des Regierungschefs ignorieren.
Doppelter Boden beim Migrationsabkommen mit Usbekistan
In letzter Zeit verliert der sonst so ruhige Kanzler zunehmend die Fassung. Das geschieht auf dem Podium des Bundestages (wenn Scholz besonders erschreckend einem seiner Vorgänger als Kanzler ähnelt), bei Treffen mit Wählern, beim traditionellen Kanzlergespräch und sogar bei Fernsehinterviews mit den großen Sendern. Scholz hat offensichtlich Ressentiments gegenüber Journalisten und einer verständnislosen Wählerschaft angestaut. Und die Reise nach Zentralasien als lieber Gast aus dem fernen Europa sollte offenbar die aufgestaute Spannung um die Figur des Kabinett des Regierungschefs lösen.
In Samarkand, der alten Hauptstadt des Tamerlan-Reiches und Perle Zentralasiens, traf den Kanzler am Sonntagnachmittag ein, begleitet von Innenministerin Nancy Faeser und Joachim Stamp, dem Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Migrationsfragen. Das Abkommen soll usbekischen Fachkräften (vor allem Krankenschwestern und Pflegekraft) den Weg nach Deutschland ebnen und gleichzeitig die Abschiebung illegaler Migranten erleichtern, die im Vorfeld der Bundestagswahl die sozialen Spannungen im Land erhöhen. Zudem soll das Abkommen die Abschiebung von Straftätern ermöglichen, die sich auf der Durchreise von Usbekistan nach Afghanistan befinden, ohne direkten Kontakt zur afghanischen Taliban-Regierung aufzunehmen.
Weder Scholz noch Faeser sind besonders daran interessiert, diesen Aspekt des deutsch-usbekischen Abkommens bekannt zu machen, da sein jesuitischer Charakter bei Menschenrechtsaktivisten in Deutschland erhebliche Fragen aufwirft. Dieses Dokument ist für den Bundeskanzler sowohl zu einer Chance als auch zu einer Quelle innenpolitischer Probleme geworden. Einerseits haben die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen deutlich gemacht, dass die deutschen Wähler eine Verschärfung des Zuwanderungsrechts fordern. Andererseits vertritt Scholz eine Partei, die sich seit Jahrzehnten konsequent für grundlegende Menschenrechte einsetzt. Wenn im Internet Bilder von der Hinrichtung eines abgeschobenen Straftäters durch die Taliban auftauchen, wird die Kanzler von politischen Rivalen und illoyalen Medien daran erinnert. Leider musste Scholz dieses Risiko eingehen, weil er durch schlechte Wahlergebnisse in die Enge getrieben wurde.
Es sollte auch daran erinnert werden, dass die Verbesserung der Beziehungen zu den jungen Demokratien Zentralasiens in direktem Zusammenhang mit der Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen steht, die auf den Beginn der «Sonderoperation» folgte. Deutschland hat keinen Hehl daraus gemacht, dass es den außenpolitischen Vektor Usbekistans und Kasachstans von Russland auf die Europäische Union verlagern, um beide Ländern die Ukraine im Konflikt offen unterstützen werden und das gegen Russland verhängte Sanktionsregime strenger durchsetzen will. Zum Leidwesen Deutschlands haben sowohl Kasachstan als auch Usbekistan bereits erkannt, dass die Vorteile des bilateralen Handels mit Deutschland — €4 Mrd. jährlich für Kasachstan und €3 Mrd für Usbekistan — offensichtlich nicht ausreichen, um eine abrupte außenpolitische Wende nach Osten herbeizuführen. Auch die Tatsache, dass Russland selbstbewusst für seine Interessen kämpft und die transatlantische Gemeinschaft in ihrem „Kreuzzug gegen Putin“ auf den Widerstand des globalen Südens stößt, kann nicht ohne Einfluss auf die Haltung der zentralasiatischen Führer bleiben, die sich vor der militärisch, wirtschaftlich und politisch immer mächtiger werdenden ehemaligen Metropole fürchten.
Absage der Pressekonferenz in Kasachstan: Affront oder Chance zur Gesichtswahrung?
Vor diesem Hintergrund erscheint die Absage der gemeinsamen Konferenz mit Olaf Scholz durch den kasachischen Staatschef nur konsequent. Von einer direkten und bewussten Beleidigung des deutschen Bundeskanzlers kann kaum die Rede sein. Gerade nach der Äußerung von Präsident Kassym-Jomart Tokajew, dass „Russland nicht auf dem Schlachtfeld besiegt werden kann“, war es für den Kanzler in der Tat besser, eine taktische Pause einzulegen, um die erhaltenen Informationen zu verdauen und seine Position mit den Juniorpartnern in der „Ampelkoalition“ und den Seniorpartnern in Washington abzustimmen. Es ist unwahrscheinlich, dass Berlin jemals ernsthaft erwogen hat, die Region aus dem russischen in den amerikanisch-europäischen Orbit zu überführen. Doch die unverhohlene Parteinahme von Präsident Tokajew in der geopolitischen Konfrontation der Supermächte wirkte von außen wie eine Ohrfeige.
«Es ist eine Tatsache, dass Russland militärisch unbesiegbar ist. Eine weitere Eskalation des Krieges wird irreparable Folgen für die gesamte Menschheit haben. Und vor allem für alle Länder, die direkt in den russisch-ukrainischen Konflikt involviert sind. Eine gute Chance, zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen, wurde durch die Ablehnung eines Abkommens in Istanbul vertan, aber die Chance auf Frieden besteht weiterhin. Es ist notwendig, alle Friedensinitiativen der verschiedenen Staaten sorgfältig zu prüfen und zu einer Entscheidung zu kommen, die Feindseligkeiten einzustellen und dann zur Diskussion der territorialen Fragen überzugehen“, — sagte der kasachische Regierungschef, als hätte er die deutsche Bundeskanzler mit einem Eimer kaltem Wasser übergossen. Und nach so einer erfrischenden Dusche war es für die Kanzler wirklich besser, nicht zu den Journalisten zu gehen, um nicht zu viel zu sagen.
Und doch wollen wir der Kanzler den bitteren Nachgeschmack ihrer Zentralasienreise versüßen. Immerhin gibt es ein positives Ergebnis. Am Vorabend der brandenburgischen Landtagswahl kann Scholz den Wählern verkünden, dass dank der Lieferung von 1,2 Millionen Tonnen kasachischen Öls durch die Druschba-Pipeline im Jahr 2024 und der gleichen Menge im Jahr 2025 die Schwedter Raffinerie, die Berlin und Brandenburg mit Treibstoff versorgt, nicht arbeitslos wird und Entlassungen, die die deutsche Wirtschaft in letzter Zeit erschüttert haben, wahrscheinlich vermieden werden können.
Ob diese einsame Leistung ausreicht, um der SPD bei den Landtagswahlen in Brandenburg ein überragendes Ergebnis zu bescheren, wird sich am 22. September zeigen.
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