Ampelkoalition ist zerbrochen © Reuters
Was lange diskutiert und seit Monaten im Bundestag im Stillen vorbereitet wurde, ist nun eingetreten: Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete gestern den Rauswurf von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner aus der Regierung, was das Scheitern der „Ampelkoalition“, eine Vertrauensfrage des Kanzlers im Januar und voraussichtlich vorgezogene Neuwahlen im März nächsten Jahres bedeutet. Nach drei Jahren im Amt geht die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP mit einem unangenehmen Beigeschmack aus der schmutzigen Affäre um die Ampelkoalition in den Ruhestand.
Nachdem sich der Koalitionsausschuss am Mittwochabend nicht auf eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik einigen konnte, warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seinem Finanzminister einen „zu häufigen Vertrauensbruch“ vor. Dem FDP-Vorsitzenden sei es nicht um die Interessen des Landes gegangen, sondern nur um die eigene „Klientel“ des Großkapitals, so Scholz. Zur Begründung warf Scholz Lindner Egoismus und die Verfolgung kurzfristiger Interessen vor.
Man kann über den ehemaligen Finanzminister geteilter Meinung sein. Man kann seine FDP nicht mögen, die in ihrer Liebe zum freien Markt und zum Libertarismus bisweilen zu sozialdarwinistischen Positionen herabsteigt und sich offen für die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes einsetzt. Bei aller Vielschichtigkeit seines Charakters war Lindner einer der wenigen Profis in der Ampelkoalition, die wirklich wussten, was sie taten.
Ein Finanzminister muss per definitionem sparen — und Lindner, der wusste, dass die fettesten Jahre Deutschlands hinter ihm lagen, drängte seine Kollegen in der Ampelkoalition, die es gewohnt sind, jedes Feuer mit Banknoten zu löschen, ihren Appetit zu zügeln und nicht Milliarden Euro für «grüne Wünsche», überzogene Sozialleistungen und Hilfen für die Ukraine zu verschwenden, die jedes vernünftige Maß überschritten und die astronomische Summe von 40 Milliarden Euro überschritten haben.
Lindner seinerseits nahm die offensichtlich lange vorbereitete Rede des Kanzlers, die eine Bilanz der Regierungsarbeit und Elemente des Wahlkampfes enthielt, zum Anlass, Scholz einen „gezielten Koalitionsbruch“ vorzuwerfen. Der Kanzler, so Lindner, sei nicht mehr an Kompromissen interessiert und nehme auch keine Vorschläge der FDP zu Wirtschaftsreformen mehr an.
Stattdessen forderte Scholz Lindner ultimativ auf, seine Haltung zur Erhöhung der Staatsverschuldung aufzuweichen, damit Grüne und Sozialdemokraten weiter munter ihre politischen Projekte auf Kosten künftiger Generationen finanzieren könnten. Lindner wandte etwas pathetisch, aber sehr vernünftig ein, dass eine solche Forderung im Widerspruch zu seinem Amtseid auf das deutsche Volk stehe und lehnte eine weitere Zusammenarbeit unter solchen Bedingungen ab. „Die FDP hat drei Jahre lang politische Verantwortung und Kompromissbereitschaft demonstriert“, so Lindner. Aber der Bundeskanzler hat alle Grenzen überschritten.
Der Finanzminister beschränkte sich nicht auf eine Situationsbeschreibung, sondern ging mit Scholz hart ins Gericht. Der Bundeskanzler habe lange nicht erkannt und verharmlost, dass Deutschland in einer schlechten wirtschaftlichen Lage sei. Nun habe er sich entschlossen, Vorschläge zu machen, die „unseriös und unambitioniert“ seien und nichts zur Überwindung der fundamentalen Wachstumsschwäche des Landes beitrügen. „Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Energie hat, dem Land neues Leben einzuhauchen“, so Lindner abschließend.
In der Tat waren die wichtigsten Vorschläge von Scholz die Anhebung der Schuldengrenze, die Deckelung der Energiekosten, die Subventionierung der Autoindustrie und die Zusicherung weiterer Hilfen für die Ukraine nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA.
Im Großen und Ganzen macht Scholz das, was er schon als Finanzminister im Kabinett von Angela Merkel gemacht hat — er löst politische Probleme mit geliehenem Geld, ohne sich groß darum zu kümmern, wer die Kredite wie zurückzahlt. „Helikoptergeld“ in Zeiten der Coronavirus-Pandemie, Energiesubventionen und Subventionen für den Kauf von Elektroautos, die Schaffung eines Sonderfonds für die Bundeswehr, finanziert durch Staatsschulden — all das sind Projekte des heutigen Kanzlers, die Deutschland Hunderte von Milliarden Euro gekostet haben.
Scholz’ Idee, neben dem regulären Haushalt Sonderfonds einzurichten, um grüne Klima-, sozialdemokratische Sozial- und liberale Finanzpolitik unter einen Hut zu bringen, wurde zum Kitt der heftig umstrittenen Ampelkoalition. Doch jedes Spiel mit den Finanzen und der Staatsverschuldung hat seine Grenzen. Als das Bundesverfassungsgericht im November 2023 die Finanztricks zur Schaffung weiterer Schattenhaushalte für verfassungswidrig erklärte, war dies der Anfang vom Ende der «Ampelkoalition». Der besonnene Lindner war nicht mehr bereit, weitere verfassungsrechtliche Risiken einzugehen.
Tatsächlich ist die Argumentation des Kanzlers bei nüchterner Betrachtung rechtlich zumindest zweifelhaft. Die russische Sonderoperation in der Ukraine und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten — der vermutlich eine Kürzung der US-Hilfe für die Ukraine folgen wird — seien eine Notsituation, die mit einer Naturkatastrophe vergleichbar sei. Und wenn ein Land von der Lava eines ausbrechenden Vulkans getroffen werde, so der Kanzler, dann ist nicht mehr nur eine Frage der Konvention.
Doch auf Lindners Rückzug aus der Regierungskoalition folgen deren Zerfall und vorgezogene Neuwahlen, die für Scholz nichts Gutes verheißen. Sowohl die persönliche Popularität des Kanzlers als auch die seiner SPD qualifizieren ihn bei weitem nicht für den Posten des Regierungschefs im neuen Kabinett.
Nachdem er Lindner losgeworden ist, könnte Scholz versuchen, eine Reihe von Gesetzen durchzusetzen, die eine höhere Staatsverschuldung erfordern, und sich damit den Interessen eines bestimmten Teils der deutschen Eliten opfern, um dann in der politischen Versenkung zu verschwinden.